Urs Keller
Neun Fragen an Urs Keller
Warum sind Sie Metzger geworden?
Meine Grosseltern und danach meine Eltern haben die Metzgerei am Manesseplatz seit je her als kleiner Quartierbetrieb mit fünf Mitarbeitern betrieben. Wäre ich nicht in diesem Umfeld aufgewachsen, hätte ich als solider Sekundarschüler damals wohl eine KV-Lehre, wie viele meiner Kollegen, absolviert. So aber wurde ich Metzger. Eigentlich habe ich erst zehn Jahre nach meinem Lehrabschluss, als ich das Eidgenössische Metzgermeister-Diplom in der Tasche hatte, so richtig realisiert, welch Potential in diesem Gewerbe und in meinem Beruf steckt. Der Kreislauf in dieser spannenden Branche wurde mir ab dann klarer und faszinierte mich: Von der Tierhaltung, dem Kontakt zu den Bauern über das Knowhow der ganzen Landwirtschaftsszene. Oder auch die Weiterverarbeitung oder die umfassende Industrie rund um eine Metzgerei. Beispielsweise werden ja die Felle der Tiere nicht einfach weggeworfen, sondern zum Gerber gebracht, der daraus Leder herstellt. Damals schon war ich absolut überzeugt von der Philosophie, dass nichts weggeworfen, sondern weiterverarbeitet werden soll. Heute nennt man das Nachhaltigkeit. Auf jeden Fall: Mit dieser Gewissheit ist für mich damals ein riesiges Potential an Ideen, Visionen und Möglichkeiten aufgegangen.
Wie würden Sie die Entwicklung des Familienbetriebs am Manesseplatz in den letzten dreissig Jahren beschreiben?
Früher war es eine Quartiermetzgerei, die sich hauptsächlich auf den Ladenverkauf konzentrierte. Das war damals auch richtig und entsprach dem Angebot- und Nachfrageprinzip. Für meine Eltern stand der direkte, lokale Kundenkontakt und die professionelle Beratung im Vordergrund – ehrliches, persönliches Handwerk mit viel Feingespür. Nebenbei belieferte die Metzgerei Keller diverse Restaurants im Quartier Wiedikon, ein klassisches Arbeiterquartier mit vielen Genossenschaftswohnungen und einer bodenständigen Grundhaltung. Man ging damals als Familie ja auch noch nicht so oft auswärts in Restaurants essen, sondern viel eher am Samstag zum Metzger des Vertrauens, der einem ein gutes Stück Fleisch für den Sonntag richtetet. Keine Filets oder Entrecôtes übrigens, sondern eher mal ein Voressen, etwas Siedfleisch oder einen Braten. Ich erinnere mich gut daran: Über Mittag war unser Laden von 13-15 Uhr geschlossen, das ist heute fast nicht mehr vorstellbar.
Was hat sich im Laufe der Jahre sonst noch wesentlich verändert?
Die grösste Veränderung sehe ich darin, dass sich die Metzgerei Keller vom reinen Verkaufsstandort zum Händler und Wiederverkäufer weiter entwickelt hat – mit einer eigenen Wurstproduktion. Unser Gesamtvolumen als Zulieferer ist auf mehrere hundert Betriebe und Restaurants in der ganzen Schweiz gewachsen. Wir habe als grosser Rindfleischimporteur eingekauft, verkauft und zwischengelagert. Dafür haben wir uns damals in Zürich Manegg grosse Kühl- und Tiefkühlräume dazu gemietet. Neu war auch, dass wir im Ladengeschäft angefangen haben, Menus zum Mitnehmen anzubieten, um den stärker werdenden Bedürfnissen urbaner Essgewohnheiten Rechnung zu tragen.
Sie sind in Zürich gut vernetzt. Was reizt Sie am Kontakt mit unterschiedlichen Menschen und am Zusammenbringen von Leuten aus unterschiedlichen Szenen?
Ich bin ein neugieriger Mensch. Ich erfahre gerne, was die Leute für Lebensentwürfe gewählt haben und wie sie sich damit fühlen. Die Codes in den unterschiedlichen Szenen reizen mich, man muss sie kennen und die Sprache der Leute sprechen. Eine grosse Herausforderung besteht darin, dass man sich – egal, ob im Kontakt mit dem Büezer, dem Städter, dem Direktor eines Fünfsternehotels oder dem CEO einer Bank – authentisch und ehrlich verhält. Bei meiner Arbeit geht es ja oft nicht nur um einen «kleinen, netten Gefallen vom Urs», sondern um seriöses Business mit Zukunftspotential und Budgets.
Welches sind, aus Ihrer Sicht, Ihre zwei grössten Stärken – beruflich gesehen?
Ich bin ein Perfektionist. Früher dachte ich noch, dass dies hinderlich sein könnte. Heute, wo ich als Berater für Projekte engagiert werde, weiss ich: perfekt ist ganz gut (lacht).
Was sind zwei wichtige Trends in den nächsten Jahren im Food- und Gastronomie-Segment?
Mir fallen spontan zwei ein: die immer grösser werdende Kreativität und die Vielfalt in den Betrieben sowie das zunehmende Bewusstsein der Kunden für eine Top-Qualität. Sei dies in Sachen Nachhaltigkeit oder aber auch, dass die Leute nur noch dort ihr Geld ausgeben wollen, wo sie sich verstanden fühlen und den Betreibern vertrauen. Das ist für ein schickes Lokal übrigens genauso entscheidend wie für eine Quarterbeiz.
Sie schätzen schönes Interior und gutes Design. Wo und wie lassen Sie sich inspirieren?
Auf der ganzen Welt, oft in New York City, wo ich auch eine Zeit lang mit meiner Familie gelebt habe. Besonders mag ich Plätze, die eine Ausstrahlung haben und authentisch sind. Man merkt es rasch, wenn es stimmt – oder eben nicht. Geschmack und Stil haben meiner Meinung überhaupt nichts mit Luxus oder Geld zu tun. Man kann ihnen überall begegnen, in der einfachen Surferbar am Strand auf Bali, in einem winzigen Laden in einem Hinterhof in Berlin oder aber in der Lobby des W South Beach in Miami.
Wo leben Sie?
In Zürich-Wollishofen und in den Bündner Bergen.
Nennen Sie Ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen – und warum?
Familien, Freunde, Sport und Reisen. Jedes davon macht mich glücklich. Alle vier zusammen: überglücklich.
Interview: Martina Bortolani